Leben als digitaler Nomade - Ein ehrlicher Erfahrungsbericht
Man sieht, hört, liest und spricht immer häufiger von diesen Menschen, die sich aus der sogenannten 9to5-Arbeitswelt im gewohnten Umfeld verabschieden, um „ortsunabhängig“ einem „neuartigen“ Mix aus Reisen und Arbeit nachzugehen. Auch ich zähle mich seit Oktober 2022 zu diesen Menschen, die man als „digitale Nomaden“ bezeichnet. Bereits 2008 beschrieb ein Artikel „Nomads at last„ im renommierten The Economist das Leben dieser digitalen Nomaden.
Doch auch rund 15 Jahre später, habe ich das Gefühl, dass dieser „Way of Living“ bei vielen Menschen, die ich auf meinem Weg treffe, immer noch einige Fragen aufwirft. Mir begegnet regelmäßig ein Mix aus Bewunderung, Skepsis, Interesse und Unsicherheit. „Klappt denn das alles problemlos mit dem Geldverdienen?“, „Bist du nicht oft einsam?“ oder „Ich würde das auch so gerne machen, aber mein Job gibt das nicht her.“ sind nur ein paar der Fragen, die ich immer wieder gestellt bekomme.
Mit diesem Beitrag möchte ich dir mein Leben als digitaler Nomade näherbringen, um einen (ehrlichen) Eindruck davon zu verschaffen, welche Chancen und Herausforderungen dieser Lebensstil mit sich bringt, warum ich nicht nur den ganzen Tag in der Hängematte liege und warum du den Mut zu so einem Leben haben solltest, wenn du dich dafür begeisterst.
Die Vorgeschichte
Warum habe ich mich für dieses Leben entschieden? Darf man das überhaupt? Ich habe doch richtiges Glück, dass ich so einen Job gelernt habe, oder?
Irgendwie hat mich schon immer, ok sagen wir seitdem ich mit 17 Jahren für 5 Monate in den USA war, der Wunsch nach einem selbstbestimmten, freien Leben begleitet. Trotzdem habe ich nach meinem Abitur erst einmal einen klassischen Weg mit einem BWL-Studium eingeschlagen. Wenn mich in dieser Zeit des Bachelor- und Master-Studiums aber etwas wirklich interessiert hat, dann war es Entrepreneurship.
„Entrepreneurship bezeichnet zum einen das Ausnutzen unternehmerischer Gelegenheiten sowie den kreativen und gestalterischen unternehmerischen Prozess in einer Organisation, bzw. einer Phase unternehmerischen Wandels, und zum anderen eine wissenschaftliche Teildisziplin der Betriebswirtschaftslehre.“
– Gabler Wirtschaftslexikon
So habe ich mich sowohl während des Master-Studiums in Business Administration, als auch in meiner ersten Vollzeitstelle bei einem mittelständischen Medizintechnikunternehmen in Hamburg immer nebenbei mit Möglichkeiten auseinandergesetzt, wie man nebenbei und selbstständig im Internet Geld verdienen kann. Über meinen damaligen Arbeitgeber bin ich dann auch das erste Mal mit dem Thema Webseiten in Kontakt gekommen und habe dort die Firmen-Webseite sowie den Online-Shop betreut.
Das Thema Webseite hat mich dann nicht so richtig losgelassen, sodass ich nach und nach immer tiefer in die Erstellung von WordPress-Seiten eingestiegen bin. Nebenberuflich habe ich zuerst kleinere Projekte, wie beispielsweise die Webseite für die Pfötchenpension, in meiner Heimat realisiert und setze seit April 2020 für die Agentur Blütezeit verschiedene Web-Projekte von lokalen Firmen, über Online-Shops bis zu hochwertiger Hotellerie und Gastronomie um.
Da mein nebenberufliches Business inzwischen so gut lief, dass ich mir vorstellen konnte, nur noch davon zu leben, habe ich mich schließlich im Juni 2021 dazu entschieden, mir einen Transporter zu kaufen und diesen komplett zum Van/Wohnmobil auszubauen. Ein bisschen mehr als ein Jahr später war es dann soweit: Der Ausbau war nach vielen, teilweise mühenvollen Stunden und liebevoller Unterstützung von Freunden endlich „fertig“, mein Job in der Automobilbranche war zum 30.09.2022 gekündigt, mein Wohnsitz in Deutschland war abgemeldet und ich war bereit (so bereit, wie man für so etwas bereit sein kann) zusammen mit meinem Hund Bailey nach Spanien aufzubrechen. Erstes Ziel: Barcelona.
Oktober 2022 - Es geht los
So ging es also endlich los. Ich kann mich heute, rund 9 Monate später, gar nicht mehr so richtig an diese Übergangsphase in meinem Leben reinfühlen, weil alles so schnell ging, aufregend und beängstigend zugleich war. Daher möchte ich hier eher auf die Rahmenbedingungen (Wohnsitz, Versicherung, Unternehmen, etc.) eingehen, zu denen ich immer wieder gefragt werde.
- Wohnsitz: Ich habe meinen privaten Wohnsitz in Deutschland abgemeldet. Ja, das geht und sogar ziemlich einfach. Der Vorteil: Ich muss keine Steuern, GEZ oder ähnliches mehr zahlen. Nachteile? Ich konnte bisher keine feststellen.
- Unternehmen: Mein Unternehmen ist in Deutschland gemeldet, da auch ein Großteil meiner Rechnungen an deutsche Kunden gestellt werden. Ich brauche als Privatperson keinen Wohnsitz in Deutschland, um ein Unternehmen in Deutschland zu melden.
- KFZ: Mein Van ist weiterhin in Deutschland gemeldet. Die Anmeldung habe ich damals vorgenommen, als ich noch in Deutschland gemeldet war. Man kann aber sogar ein KFZ in Deutschland anmelden, ohne festen Wohnsitz. Wie das geht, erfährst du hier.
- Krankenversicherung: Ich habe eine Auslandskrankenversicherung über 5 Jahre bei der HanseMerkur (#unbezahlteWerbung) abgeschlossen und bin damit auch 6 Wochen im Jahr in Deutschland versichert. Die einzige Voraussetzung für den Abschluss der Versicherung ist, dass man zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch in Deutschland gemeldet ist. Wer mehr zu dem Thema wissen möchte, der findet hier einen detaillierten Bericht zum Thema Auslandskrankenversicherung.
- KFZ-Versicherung: Auch hier habe ich noch vor dem Aufbrechen eine Versicherung beim ADAC (#unbezahlteWerbung) abgeschlossen, die zum Beispiel auch eine Interior-Versicherung beinhaltet, falls in mein Wohnmobil eingebrochen wird.
- Internet: Ich kaufe mir in dem jeweiligen Land, wo ich unterwegs bin, eine lokale SIM-Karte und stecke diese in einen 4G/LTE-Router. Und auch das ist ja kein Geheimnis, ich habe überall besseres Internet als in Deutschland 🙂
Freiheit, Einsamkeit und Unsicherheit (Spanien)
Nun, wie oben schon geschrieben, begann meine Reise also in Barcelona. Glücklicherweise war ich dort zu einem Geburtstag von Freunden eingeladen und durfte meine ersten Tage in dem „fremden“ Land also mit Menschen verbringen, die mir vertraut waren. Aber nach einem verlängerten Wochenende ging es dann los in die Freiheit, Einsamkeit und Unsicherheit. Mein ursprünglicher Plan war es gewesen, von Barcelona aus die Mittelmeerküste entlang nach Portugal zu fahren. Auf dem Geburtstag sollte mich ein deutscher Auswanderer aber davon überzeugen, den Herbst in den Pyrenäen zu verbringen und entlang der spanischen Atlantikküste nach Portugal zu fahren. Mein erster Plan hatte sich also schon nach wenigen Tagen zerschlagen. Aber es hat sich definitiv gelohnt 🙂
Die Zeit in den Weiten der Pyrenäen werde ich definitiv nicht so schnell vergessen. Der Mix aus spätsommerlichen Temperaturen und herbstlicher Natur ist wirklich einmalig. In der Kulisse zwischen den riesigen Bergen und weiten Ebenen verspürt man eine ungeahnte Freiheit, die schwierig zu beschreiben ist. Wir haben ungefähr einen Monat von der Mittelmeerseite bis zum Atlantik benötigt und ich hatte auch nie das Gefühl einsam zu sein. Bailey und ich gewöhnten uns so langsam an das Leben im Van, unternahmen wunderschöne Wanderungen und ich hatte viel Zeit, um zu arbeiten (was ich als durchaus positiv empfunden habe).
Mitte November wurde es dann nachts aber deutlich kühler, sodass wir schnell die Nähe des Atlantiks suchten, da es dort noch deutlich wärmer war zu der Zeit. Die Phase an der spanischen Atlantikküste wird mit letztlich wohl als die Phase der Reise in Erinnerung verbleiben, die mit der größten Unsicherheit und Einsamkeit verbunden war. Es war sehr schwer mit den einheimischen Menschen in Kontakt zu kommen, weil ich kaum bis gar kein spanisch spreche und auch andere Reisende zu der Zeit schon größtenteils in Portugal oder am Mittelmeer unterwegs waren. Zu der Zeit war ich schon ein bisschen am Zweifeln, ob das alles so richtig ist. Ist es wirklich das, was ich möchte? Aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass in solchen Momenten meistens Menschen in dein Leben kommen, die einem helfen auf dem richtigen Pfad zu bleiben. Meine Gefühle und eine wundervolle Begegnung von damals habe ich in diesem Instagram-Post veröffentlicht. Hier der Text dazu:
Einsamkeit. Ein Gefühl, das mir in den letzten Jahren wirklich fremd war.
Es gab in meinem Leben mit Sicherheit auch schon einige Momente, in denen ich mich einsam gefühlt habe, aber hier auf dieser Reise ist es irgendwie anders. Dabei sind es nicht die Momente in denen man alleine ist, in den Weiten der Berge und Täler oder an schier endlosen Stränden. Nein, es sind vor allem die Situationen, umgeben von fremden Menschen, in denen man unsichtbar erscheint. Weil man anders aussieht, weil man eine andere Sprache spricht, weil man nicht in das Bild der lokalen Gesellschaft passt. In diesen Momenten schleicht sich die Einsamkeit als ein stiller Begleiter an und legt sich wie ein Mantel über einen.
Und dann, ja genau dann, wenn dieses Gefühl der Einsamkeit sich zu setzen scheint, kommen da diese Engel um die Ecke. Menschen, wie Juan, die dir ein Lächeln ins Gesicht zaubern, die dir einen Moment ihrer Aufmerksamkeit schenken oder sogar ein paar Augenblicke ihrer Lebenszeit mit dir teilen – obwohl sie nicht wissen, wer du bist und was du zu sagen hast.
Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann, dass wir es uns wieder mehr erlauben, einem fremden Menschen unsere Aufmerksamkeit zu schenken. Ein Lächeln, ein „Hallo“, ein kurzes Gespräch. Egal ob heute, morgen oder wann auch immer es sich ergibt.
Lasst uns ein bisschen mehr so sein wie Juan, denn am Ende sind wir alle Eins, we are all ONE 🧡
Routinen, Freundschaften und Passionen (Portugal)
Anfang Dezember 2022 habe ich schließlich über Galizien die Grenze zu Portugal überschritten und nach der Begegnung mit Juan am letzten Tag in Spanien sollte sich alles verändern (im positiven Sinne).
Gleich an meiner ersten Station in Portugal lernte ich andere Reisende kennen, mit denen ich die folgenden 2 Wochen bis nach Porto gemeinsam reiste. Nachdem wir ein Wochenende zusammen in Porto verbrachten, trennten sich unsere Wege. Jedoch dauerte es keine 48 Stunden bis ich weitere Menschen kennenlernte und wir gemeinsam durch Portugal reisten. Weihnachten verbrachten wir schließlich mit 10 Leuten im schönen Surf-Ort Peniche.
Nach rund 3 Monaten Nomadenleben hatte ich aber so langsam das Gefühl, dass ein wenig (örtliche) Konstanz mir und auch Bailey ganz gut tun würden. Daher steuerten wir aufgrund einer Empfehlung von Freunden das Eco Camp in Salema an der Algarve an. Ein Volltreffer, wie sich im Laufe der Zeit herausstellen sollte. Aus geplanten 2 Wochen Aufenthalt wurden mal eben 2 Monate. Während der Zeit im Camp durfte ich unfassbar viele inspirierende Menschen kennenlernen, bekam von Wanderink Jim meine ersten Tattoos in einem Tipi gestochen und realisierte das Redesign-Projekt von innermotion. Außerdem stellten sich so langsam Routinen im Alltag ein, die mir sehr dabei halfen produktiv zu arbeiten. Wenn man alle 2-3 Tage oder teilweise noch häufiger den Standort wechselt, viel Zeit auf der Straße verbringt und ständig in einer neuen Umgebung ist, dann bedarf es eine Menge Selbstdisziplin und Energieaufwand, um den täglichen Workload und noch mehr zu bewältigen.
Anfang März sollte dann die Zeit in Portugal zu Ende gehen. Ein Kapitel dieser Reise, dass vor allem von nachhaltigen Begegnungen mit tollen Menschen geprägt war, die sich teilweise zu echten Freundschaften entwickelten. Eine Phase, die mir sehr dabei half vom Reise-Modus in einen Lebens-Alltag zu finden, was sich enorm positiv auf meine Arbeits- und Lebensqualität ausgewirkt hat. Und definitiv ein Lebensabschnitt auf dem ich mehr zu mir selbst gefunden habe, neue Passionen wie das Surfen entdecken durfte und mich persönlich weiterentwickelt habe.
Zwischenfazit
Nach einem kurzen Abstecher in die Toskana im April, habe ich die Sommermonate 2023 vor allem damit verbracht, Zeit in der Heimat mit Familie und Freunde zu verbringen. Im Rückblick auf die letzten 9 Monate kann ich für mich auf jeden Fall festhalten, dass ich den Schritt zu einem Leben und Arbeiten als digitaler Nomade in Europa alles andere als bereue.
Ich bin unfassbar dankbar für die Möglichkeit Reisen und Arbeiten miteinander zu verbinden. Die Begegnungen mit den Menschen außerhalb des gewohnten Umfeldes sind für mich unfassbar bereichernd. Durch die Erfahrungen und Herausforderungen in diesem Lebensabschnitt habe ich mich persönlich so weiterentwickelt, wie ich es mir vorher kaum hätte vorstellen können.
Daher ist für mich auch klar, dass die Reise an dieser Stelle noch nicht vorbei ist. Mein Ziel für den Winter 2023/2024 ist erst einmal Griechenland. Und ich bin gespannt, was die kommenden Monate so mit sich bringen werden. Zum geeigneten Zeitpunkt wird es dann mit Sicherheit hier ein Update geben.